
DER MOHR UND DAS FLEISSIGE LIESCHEN
Die Ambitionen der Gendersprache und die Fallen, in die sie tappt
Nein – dies ist nicht die Geschichte einer unstandesgemäßen Verbindung zwischen Schwarz und Weiß im Deutschland der fünfziger Jahre. Es ist auch nicht die Neu-Adaptation der Ballade von den zwei Königskindern, die zusammenkommen wollten, aber nicht konnten. Es ist überhaupt keine der uralten Stories von Geld, Macht und Liebe.
Es ist der Bericht über einen aktuellen Trend, der unter dem Begriff Gendern von den Medien am Kochen gehalten wird, aber für die meisten Zeitgenossen nichts als ein überflüssiges Ärgernis ist. Gendern ist Teil einer im linksgrünen Parteienspektrum zu verortenden Ideologie, die sich eine gerechtere Welt zum Ziel gesetzt hat und dies unter anderem durch Sprachoptimierung zu erreichen glaubt. Wie die Anhänger aller Ideologien – sei es Kommunismus, Nationalismus oder Religionen – sind auch die Genderkämpfer von der universellen Richtigkeit und Gültigkeit ihrer Glaubensinhalte überzeugt. Sie sind gläubig.
Gendersternchen und Tabuworte
Eine Erfindung der Sprachpuristen ist das Gendersternchen. Wie ein kleiner Leuchtturm lässt es in gegenderten Texten das Signal aufblitzen: Achtung – Frauen sind gleichberechtigt! Und zwar jedesmal, wenn von irgendwelchen Personengruppen die Rede ist, egal ob es sich um Busfahrer, Lehrer, Forscher, Bäcker, Ingenieure, Nomaden oder Löwenbändiger handelt. Die erscheinen im Text dann als Löwenbändiger*Innen, damit die gleichberechtigte Stellung der Dompteusen sichergestellt ist. Beim Sprechen wird das Sternchen durch einen minikurzen Sprachaussetzer ersetzt, der wie ein unterdrückter Schluckauf klingt.
Stellen Sie sich vor, Sie besteigen in Berlin-Schöneberg einen Bus der BVG (Berliner Verkehrsbetriebe), um Ihren Onkel im noblen Vorort Dahlem zu besuchen. Ist es für Sie von Bedeutung, ob das menschliche Wesen hinter dem Steuer des Busses über männliche oder weibliche Reproduktionsorgane verfügt? Oder vertrauen Sie darauf, dass die Busfahrerschaft der BVG eine entsprechende Ausbildung erhalten hat und einfach ihren Job gut macht?!
Während diese Gendervariante eine Gruppe Menschen, nämlich die Frauen, im Namen der Gleichberechtigung unablässig ins Rampenlicht zerrt (Genderkritiker könnten das sexistisch nennen), tabuisiert ein anderer Genderableger bestimmte Begriffe als toxische Steigbügelhalter für Ausgrenzung. Dazu gehören Volksgruppenbezeichnungen wie Zigeuner, Indianer und natürlich das berüchtigte N-Wort (Neger), das, wenn öffentlich-medial publiziert, den Urheber die Karriere kosten oder ihn durch einen Shit Storm derart zusammenknicken kann, dass er eine berufliche Auszeit und die Hilfe eines Psychologen in Anspruch nehmen muss.
Umbenennung als Rezept für Sprachreinigung
Die wissenschaftliche Forschung hat zweifelsfrei bewiesen, dass es keine genetischen Unterschiede zwischen den Menschen gibt, unabhängig von äußeren Merkmalen wie zum Beispiel Hautfarbe. Es ist deshalb ungerecht und nicht statthaft, Menschen aufgrund äußerer Merkmale auszugrenzen, obwohl sie eben wegen solcher Merkmale als Mitglieder einer Gruppe identifizierbar und somit ausgrenzbar sind und bleiben.
Der Trick, den sich die smarten Genderaktivisten für dieses Problem ausgedacht haben, heißt Umbenennung. In glaubenstreuer Selbstermächtigung haben sie sich hierbei auch den Begriff Mohr vorgenommen, ein antiquiertes und kaum noch gebräuchliches Wort. In korrektem Genderdeutsch gehört der Mohr nun zur Gruppe der People of Colour. Die sind zwar durch ihre Hautfarbe immer noch ausgrenzbar. Es fehlt ihnen aber der giftige Stallgeruch des Kolonialismus und der damit zusammenhängenden Verbrechen, begangen von den Kolonialherren an den als minderwertig eingestuften Kolonialvölkern. Der Namensänderung soll, so ist anzunehmen, eine Geistesänderung folgen, die die imperialistisch-kolonialistische Denke überholt. Eine Ausgrenzung und Diskriminierung dieser Bevölkerungsgruppen wird dann überflüssig. Den eifrigen Genderstreitern sei allerdings die Frage gestellt: Ist dann in Zukunft wirklich das Problem gelöst?
Die wissenschaftliche Forschung bricht, wie sie es seit ihrer Entdeckung schon immer tat, in bislang undenkbare Sphären auf. Ein Beispiel: Krankheiten. Als göttliche Strafe („Geißel der Menschheit“) nahm man sie früher hin wie Wetterkatastrophen. Für die Wissenschaftler sind Krankheiten heute ein Problem, und Probleme lassen sich lösen, besonders wenn man sie als technologische Probleme einordnet. Was haben Krankheiten mit dem Mohr und den anderen Tabubegriffen aus dem Wörterbuch der Kolonialherren zu tun? Ist es nicht so, dass ein grenzenloses Leben durch verzögertes Altern und eine gentechnische Allover-Immunität gegen jegliche Art von Krankheit dem uralten Traum von der Unsterblichkeit des Menschen näherrückt? Ein grandioser Fortschritt, eine historische Revolution – oder?
Oder ist es vielmehr nicht so, dass mit der Schaffung solcher gentechnisch optimierter, krankheitsloser (Super)Menschen die alte Übermensch-Untermensch-Problematik klammheimlich wieder durchs Hintertürchen hereinschleicht? Der Übermensch heißt dann eben nicht mehr Kolonialherr und der Untermensch nicht mehr Mohr.
Der Begriff Mohr soll Vergangenheit sein. Dabei haben die Genderer zweifellos Erfolge erzielt. Wer die süße Leckerei Schokokuss in sich hineinstopft, denkt nicht mehr an den Mohrenkopf. Und dem aus Gedichten und Sagen bekannten Mohrenkönig hat man kurzerhand den Titel Südseekönig verpasst, obwohl die Südsee von der ursprünglichen Heimat der Mohren zwanzigtausend Kilometer entfernt liegt. Dennoch, die Arbeit geht den Sprachreinigern so schnell nicht aus. Immer noch gibt es Nischen, in denen der Mohr überlebt und für Streit sorgt.
Die Jagd nach dem Mohr
Dazu ein Beispiel: In der ländlichen, thüringischen Kleinstadt Eisenberg, die den Mohr im Stadtwappen trägt, steht auf dem Marktplatz der Mohrenbrunnen. Dort und in den umliegenden Gassen der Innenstadt wird jährlich im Juni das Mohrenfest gefeiert. Um den Eisenberger Mohr rankt sich eine Geschichte, zusammengeschmolzen aus Wirklichkeit und Sage. So etwas zählt eigentlich zum Kulturgut. Ich gebe hier eine besonders reizvolle Version der Sage wieder, wie sie mir eine aus dem Eisenberger Umland stammende ehemalige Grundschullehrerin während eines gemeinsamen Spaziergangs erzählt hat:
Vor vielen Jahren regierte ein Herzog von seiner Residenz in Eisenberg aus sein kleines Reich und hielt sich als standesbewusster Fürst als Statussymbol einen Hofmohr. (Heute undenkbar, aber damals, im Zeitalter der absolutistischen Landesfürsten von Gottes Gnaden, eine Selbstverständlichkeit an jedem Adelshof, der etwas auf sich hielt.) Eines Tages vermisste die herzogliche Gemahlin ihr goldenes Halsband. Eine intensive Suche erbrachte kein Ergebnis. Nach etlicher Aufregung und Beratung kam man zu dem Schluss, das Schmuckstück sei gestohlen worden, und verdächtigte den Mohr. Er beteuerte zwar seine Unschuld. Aber es half nichts. Nach einem Verfahren, das mit einem heutigen Indizienprozess wohl wenig zu tun hat, verurteilte man den Mohr zum Tode. Der Hinrichtungstermin nahte und eine Menge Zuschauer hatte sich bereits versammelt, um den Event live zu erleben. Just in diesem Moment flog ein Rabe über die gaffende Meute. Und was baumelte und glitzerte im Schnabel des Raben? Das Halsband der Herzogin. (Raben und Elstern sind bekanntlich die Diebe unter den Vögeln.) So nahm die Angelegenheit zu guter Letzt ein glückliches Ende.
Kulturgut hin oder her – die Sprachwächter nehmen jeden Kollateralschaden in Kauf, um ihre Glaubensinhalte durchzusetzen. Sie stören sich nicht an der Verholperung und Verunstaltung von Texten jeder Art, solange diese korrekt gegendert sind. Dass die Umbenennungen als aufoktroyiert empfunden werden und Widerstand auslösen, ficht sie nicht an. Verpestetes Kulturgut muss in die Reinigung, auch wenn dabei der Sagenschatz einer thüringischen Stadtgemeinde beschnitten und verformt wird oder ganz den Bach heruntergeht. Jedes Jahr, wenn Eisenbergs Mohrenfest naht, wird der Streit um die Umbenennung des Festes (des Brunnens auch) wieder angezettelt. Noch haben die Mohrenbefürworter die Oberhand. Aber das letzte Wort in dieser Sache ist noch nicht gesprochen.
Eine neue Variante des Gendervirus
Die Themen Gendersternchen und Tabuworte sind an sich nichts Neues mehr. Jeder ist damit schon in Berührung gekommen und hat darauf reagiert wie auf einen flächendeckenden Virus. Aber dieser Bericht wäre nicht geschrieben worden, wenn nicht eine neue, mir bisher unbekannte Variante des Gendervirus aufgetaucht wäre.
Vor einiger Zeit fand ich in meinem Briefkasten den Katalog eines Saatguthandels, der sich unter anderem auf die Vermehrung von Samen alter und gefährdeter Kultur- und Zierpflanzen spezialisiert hat. Das Gesamtangebot ist riesig. Beim Durchblättern fiel mir auf, dass das Verzeichnis einige gesellschaftspolitische Textbeiträge enthält, was für einen Saatgutkatalog eher unüblich ist. Bereits das Vorwort stimmt den irritierten Leser auf einen entschiedenen politischen Standpunkt der Unternehmens-GbR ein. Ebenfalls unüblich.
Ein Artikel mit dem Titel „Sprache und Bewusstsein“ wies in die bereits im Vorwort angedeutete Richtung. Er erklärte und begründete die Umbenennung von Pflanzennamen im Sinne der Genderideologie. Nun ist es aus der Sicht der Genderfollower durchaus nachvollziehbar und logisch, die Indianernessel und die Mohrenhirse umzubenennen. Soweit folgte die Argumentation dem bekannten Muster der Tabuisierung von Unworten. Dann folgte ein Bruch in der Logik. Unter derselben Prämisse begründeten die beiden Autorinnen auch die Umbenennung der Pflanzennamen Jungfer im Grünen und Fleißiges Lieschen. Die Jungfer im Grünen bekam unter Bezug auf ihre kleinasiatische Herkunft den Namen Damaszener Schwarzkümmel, das Lieschen heißt nun Balsamine. Beide Arten werden seit langem in Deutschlands Blumenbeeten und Balkonkästen kultiviert. Die Jungfer im Grünen ist eine zarte, filigrane Schönheit, eine kleine Diva, das Fleißige Lieschen etwas bescheidener, aber ebenfalls vollkommen.
Welche Jungfer und welches Lieschen werden durch diese Bezeichnungen diskriminiert? Diese Frage stellte ich ins Zentrum einer Email, gerichtet an die beiden Verfasserinnen des besagten Artikels, und bat um Kommentar und Aufklärung. Eine Antwort habe ich bis heute nicht erhalten.
Mohren und Indianer sind Gruppen ebenso wie Jungfern und Lieschen. Aber die Gruppenmerkmale sind weder identisch noch vergleichbar. Trotzdem unterzieht man beide Gruppen demselben Procedere. Genau da sitzt der logische Bruch. Dennoch, es muss eine Verbindung geben und diffuse Hinweise in dem Artikeltext führten mich auf eine Spur. Die weitere Ausführung meinerseits ist – zugegeben – spekulativ.
Aus dem (Un)Wörterbuch der Kolonialherren
Beide Blumen stammen ursprünglich aus Kolonialreichen. Die Jungfer im Grünen aus Nahost, das Fleißige Lieschen aus dem südlichen Afrika. Die indigenen Volksgruppen hatten zweifellos seit jeher eigene Bezeichnungen für die Pflanzen, lange bevor diese von den Kolonialen und ihrer Vorhut, den Forschern, Kaufleuten und Missionaren, „entdeckt“, benannt und in das westliche Flora- und Faunaschema eingeordnet wurden. Der Kolonialimperialismus hat also nicht nur die Pflanzen selbst vereinnahmt, sondern ihnen auch ihre indigenen Namen geraubt. Diese These passt zu dem aktuell in Schwung gekommenen Thema „Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus“. Die nächsten Schritte dürften dann der Ruf nach Wiedergutmachung sein, verbunden mit der Forderung, Lieschen und Co. ihre eigenen, ursprünglichen Namen zurückzugeben und universell festzuschreiben.
„Entdeckt“ wurde das Fleißige Lieschen im späten 19. Jahrhundert von dem britischen Missionar Horace Waller, dem zu Ehren es den wissenschaftlichen (lateinischen, also europäischen) Namen Impatiens Walleriana erhielt. Die deutsche Bezeichnung bezieht sich vermutlich auf das ausdauernde Blühen bis in den Dezember. In der Schweiz nennt man es angeblich Säuferchen, weil es zum Gedeihen viel Wasser braucht. Die englische Bezeichnung ist Busy Lizzie. Vielleicht nicht mehr lange, wenn sie im Zuge der verbalen Dekolonisierung in der Giftmülltonne für Tabuworte landet.
Selbstverständlich bedarf die Eroberung und Inbesitznahme kolonialer Völker, Territorien und Güter ebenso wie ihres geistigen Eigentums der Aufarbeitung. Nur – ist die ideologische Brechstange dafür das geeignete Instrument? Aus heutiger Sicht und mit dem heutigen Wissensstand waren viele koloniale Handlungen und Maßnahmen unfassbare Verbrechen. Aber die Menschen der damaligen Zeit, die kolonialen Machthaber ebenso wie die Beamten, die Forscher-Abenteurer, die Pflanzer und die Missionare vor Ort, handelten nach den Maßstäben ihrer Zeit und dem als gesichert geltenden Bestand des damaligen Wissens. Sie ahnten nichts von den gentechnologischen Forschungsergebnissen des 21. Jahrhunderts. Die Menschenrechte mögen universell gültig sein, aber „entdeckt“ und als Allgemeine Erklärung ausformuliert wurden sie erst vor gut 70 Jahren. Werte und Moral unterliegen einem manchmal geradezu erschreckenden Wandel. Aber Menschen argumentieren, interpretieren und handeln immer vor dem Hintergrund der Implikationen der eigenen Zeit, der eigenen Kultur und des jeweils aktuellen Wissensstandes. Das tun wir Heutigen auch.
2 Gedanken zu „DER MOHR UND DAS FLEISSIGE LIESCHEN“
Ich bin durch eine Kollegin auf Sie aufmerksam geworden und fand ihren Artikel sehr spannend und unterhaltsam- ist es möglich ihnen über einen anderen Kanal ( WhatsApp, Facebook, Telegramm) zu folgen?
Ich wäre daran sehr interessiert- mit freundlichen Grüßen Silke Rosenow
Liebe Frau Rosenow,
danke für Ihre positiven Zeilen.
Leider veröffentliche ich meine Blog-Beiträge nur auf meiner
Website. Ich kann Sie aber gern in meinen Verteiler
aufnehmen. Sie bekommen dann, wenn ich wieder einen Beitrag
ins Netz stelle, eine Nachricht per Newsletter. Das
passiert etwa zwei- bis höchstens dreimal pro Jahr.
Mit freundlichen Grüßen
Friederike Föhst