
Die Südpfalz Teil 2
Im Ateliergarten des Malers
Die lichtübergossenen Weinfelder der Südpfalz, die gestaffelten Wasgauberge mit ihren Burgen, die Landschaft um Landau, Godramstein und Leinsweiler – all dies war das eigentliche Atelier des Malers Max Slevogt, den die Kunsthistoriker als einen der bedeutendsten, deutschen Impressionisten klassifizieren. Slevogt war ein überzeugter Freilichtmaler, sein Atelierraum in seinem Leinsweilerer Sommersitz blieb deshalb ein meist vernachlässigtes Provisorium, obwohl er sich ein standesgemäßes Arbeitszimmer durchaus hätte leisten können.
Max Slevogt war in der Pfalz ein Zugewanderter. Er wurde in Landshut geboren und besuchte in Würzburg die Schule. Die Sommerferien durfte der Schuljunge bei den Großeltern im Saarland oder – was für seinen späteren Lebensweg entscheidend werden sollte – im pfälzischen Landau bei einer begüterten Großtante verbringen, über die er mütterlicherseits weitläufig mit der Godramsteiner Familie Finkler verwandt war, in die er später einheiraten sollte. Großtante Knoderer muss ein Glücksfall für „das Maxl“ gewesen sein. Die Wurzeln seiner Verbundenheit mit der südpfälzischen Landschaft und ihren Menschen sind in diesen Sommerferien seiner Kindheit zu verorten.
Goldene Jahre im Godramsteiner „Schlössel“

Mit den Besuchen bei Finklers in Godramstein eröffnete Frau Knoderer ihrem Großneffen, eine Halbwaise und finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet, aber in der Familie als zeichnerisches Wunderkind gehandelt, eine andere, weitere, neue Welt. Dr. Finkler residierte mit seiner Familie und einem angemessenen Bestand an Hauspersonal in einer repräsentativen Villa („Schlössel“) innerhalb eines Parks mit altem Baumbestand, damals noch am Ortsrand von Godramstein gelegen. Heute erinnert nur eine bescheidene Plakette (Godramsteiner Hauptstraße Ecke Max-Slevogt-Straße) an den Malerfürsten, der hier in der Residenz seines Schwiegervaters oft zu Gast war und dort teilweise auch wohnte. In diesen glücklichen Jahren seines beruflichen Aufstiegs und Ruhms und seiner Familiengründung sind unbeschwerte Fin-de-Siècle-Bilder im Park der Finklers entstanden – bezaubernde Sommerpicknicks, in Sonnenlicht getauchte Baumriesen, seine Braut Antonie („Nini“) Finkler im romantischen Sommerkleid mit Hut …
Das großherrschaftliche Haus verbirgt sich unauffällig hinter einer Mauer und Buschwerk an der Durchgangsstraße nach Landau. Es hat den Lauf der Zeiten offenbar unbeschadet überlebt, ist jedoch nicht zu besichtigen. Nur mit Mühe erhascht man hier und da einen Ausschnitt auf das durch Zäune und Büsche blickdicht abgeschirmte Gelände, die Säulen und Balkone und den Park, in dem ein Swimmingpool funkelt.
Schwiegervater Finklers Niedergang
Zum Finklerschen Imperium gehörten eine Tabakfabrik, mehrere Ölquellen im Elsässischen, das damals deutsch war, eine Chemiefabrik in Neapel und ein Wirtschaftsgut hoch über Leinsweiler, der heutige Slevogthof, den Vater Finkler samt umliegendem Wald und der Festungsruine Neukastel 1884 erworben hatte. Das weiße Türmchen mit seinem Zinnenkranz, charakteristisches Wahrzeichen des Hofensembles, entwarf der Unternehmer selbst, ganz im Sinne der damaligen nostalgischen Verklärung der mittelalterlichen Ritter-Ära

Als Finklers Besitz Anfang 1914 versteigert wurde, erwarb Slevogt den schwiegerelterlichen Gutshof in Leinsweiler aus der Konkursmasse. Kurz zuvor war er von einer Ägyptenreise zurückgekehrt und hatte den größten Teil seiner dort entstandenen Bildausbeute an die Dresdner Gemäldegalerie verkaufen können. Der Erlös reichte für den Kauf der Leinsweilerer Immobilie samt Weingütern, Wald- und Wirtschaftsflächen. Er verbrachte nun den Sommer regelmäßig auf seinem Slevogthof, den er nach eigenem Gusto erweiterte und ausbaute und dessen Innenräume er mit Wandmalereien ausstaffierte. Die letzten Jahre vor seinem Tod 1932 lebte er, von Gichtanfällen und Herzbeschwerden geplagt, ganzjährig in seinem geliebten „Tusculum“, wie er es nannte.
Reich, erfolgreich, einflussreich

Ein Bohemien war Slevogt nie. Bevor der Erste Weltkrieg die Welt auch sozial und gesellschaftlich komplett revolutionierte, erlebte Deutschland eine wirtschaftliche Blüte ohnegleichen, angefeuert durch technischen Fortschritt, galoppierende Industrialisierung und die Reparationszahlungen Frankreichs nach dem Krieg von 1870/71. Das selbstbewusst erstarkte Großbürgertum zelebrierte einen Lebensstil, dessen Maßstab der Way of Life des Adels war. Und Slevogt zelebrierte kräftig mit. Seit 1901 lebte er in Berlin, wo er zur künstlerischen Avantgarde zählte, unterstützt und gefördert durch den Kunsthändler Paul Cassirer, der auf dem Kunstmarkt des damaligen Berlin marktbeherrschend und bestens vernetzt, die Bilder des jungen Künstlers vermarktete und ihm Porträtaufträge der Großen aus Politik und Wirtschaft verschaffte. Slevogt trug damals bereits den Titel Professor, den ihm der bayrische Prinzregent Luitpold verliehen hatte, in der – allerdings erfolglosen – Hoffnung, ihn dadurch in München zu halten. Der Titel brachte keine Verpflichtungen mit sich, dafür eine lebenslange Apanage. Zudem war Slevogt, im Gegensatz zu vielen seiner Malerkollegen, bereits zu Lebzeiten ein berühmter und gefragter Künstler, der es nie nötig hatte, in ungeheizten Souterrainwohnungen um seine finanzielle Existenz zu kämpfen, bevor vielleicht (oder auch nicht) der Durchbruch gelang.
Hier und da stößt man heute auf Kommentare, die manche seiner Bilder als oberflächlich, zu schnell dahingemalt, kritisieren, unterschwellig andeutend, dies könne mit seinem saturierten Lebensstil zusammenhängen, seinem kommerziellen Erfolg. In der Tat lebte er seine Lust als großbürgerlicher Gesellschaftslöwe in Berlin und als herrschaftlicher Gutsbesitzer in der Pfalz nicht nur aus, er scherte sich auch nicht darum, dies alles öffentlich zur Schau zu stellen. Wie ein adeliger Landjunker residierte er auf seinem Gut Neukastel, malte, ging auf die Pirsch, empfing Gäste oder zechte mit seinen Kumpanen im Gasthaus zum Ochsen in Klingenmünster. Ein erd- und naturverbundener Gutsherr, Jäger, Künstler, Genießer, Weintrinker, Gourmet. Ich besitze ein Pfalzkochbuch, darin das Rezept „Hasenpastete à la Slevogt“. Das Foto zeigt ein edles, kunstvoll verziertes Teiggebilde, dessen aufgeschnittene Scheiben ein Innenleben aus mehreren Fleischsorten freilegen. Wie lange Slevogts Köchin Berta brauchte, um dieses Prachtstück zusammenzubauen, spielte damals wohl keine Rolle. Heutzutage kann einen allein das Lesen des Rezepts das Fürchten lehren. Um diese komplizierte Köstlichkeit herzustellen, wäre die Hilfe einer Küchenmamsell alter Schule nötig, die sich mit sowas auskennt. Und hinterher auf jeden Fall noch ein Fitness-Coach, damit man das aufgelaufene Hüftfett wieder runterkriegt!
Slevogts künstlerische Neueinordnung
Slevogt gehört zweifellos zum Hochadel der deutschen Maler, besonders der impressionistischen. Er wird mit ihnen in einem Atemzug genannt, – warum aber so gut wie nie an erster Stelle? Es ist, als ginge er gefühlt einen kleinen, halben Schritt hinter den anderen, hinter Max Liebermann und Lovis Corinth und den französischen Impressionisten sowieso, denen die höchsten, künstlerischen Weihen zuteil werden. Anlässlich des 150. Geburtstags 2018 gab es eine bundesweite Slevogt-Renaissance mit vielen Beiträgen und Berichten zur zeitgenössischen Slevogtforschung. Dabei fiel mir ein Artikel auf, der eine Antwort auf diese Frage liefern könnte.
Paul Cassirer, Slevogts Kunsthändler in Berlin, besaß das, was auch einen erfolgreichen Verleger ausmacht: Kunstverstand und Unternehmergeist. Als um die vorletzte Jahrhundertwende die in Frankreich entstandene Impressionistenmalerei mit über zwanzigjähriger Verspätung auch in Deutschland Fuß fasste und hier ihren Siegeszug antrat, erkannte Cassirer die Zeichen der Zeit und zögerte keinen Augenblick, die neue, moderne, avantgardistische Kunst zu promoten und sie in sein Geschäftsmodell einzubinden. Mit dem Werbeslogan „Dreigestirn des deutschen Impressionismus“ baute er das Trio Liebermann, Corinth und Slevogt erfolgreich und geschäftstüchtig zu Superstars auf.

Heute ist der Impressionismus eine historische Kunstepoche, aber das Schlagwort vom impressionistischen Dreigestirn blieb an den drei Künstlern kleben und überlebte unbeschadet und unhinterfragt die nachfolgenden Jahrzehnte bis ins 21. Jahrhundert. Aus dem historischen Zusammenhang gerissen, wandelte sich Cassirers Aufmacher im Lauf der Zeit zur inhaltlichen Klassifizierung der Schublade „Deutsche Impressionisten“. Wie oben erwähnter Artikel andeutet, scheint nun, angestoßen durch Slevogts runden Geburtstag, der Zeitpunkt gekommen zu sein, sich den Inhalt der Schublade einmal vorzunehmen und kritisch zu überprüfen.

Als Slevogt 1901 von München nach Berlin übersiedelte, war das mehr als ein Ortswechsel. Er ließ auch die Ateliermalerei der Münchner Traditionalisten hinter sich. Es war ein künstlerischer Befreiungsschlag. Unter dem Einfluss des französischen Impressionismus, der sich bereits in seiner Spätphase befand, begann er, sich mir der Dynamik von Licht und Farben zu beschäftigen. Statt im Atelier baute er seine Staffelei nun im Weinberg und auf der Waldlichtung auf und blieb zeit seines Lebens ein überzeugter Freilichtmaler. In der Tat gibt es deutliche Schnittmengen zwischen seinen und den Gemälden der französischen Vorbilder. Manche seiner Godramsteiner Landschaften sind flirrende Momentaufnahmen spätnachmittäglicher Sommerglut. Er malte aber auch Bilder, kompositorisch genau durchdacht, die etwas zum Ausdruck bringen sollen. Oft konturierte er seine Objekte mit resoluter, geradezu forscher Linienführung. Slevogt entledigte sich seiner frühen Historismusmalerei, folgte dem Sog hin zu den französischen Impressionisten, kreiste eine Zeitlang in deren Orbit, und wanderte weiter.
Die Beschäftigung mit dem Maler anlässlich seines 150. Geburtstags hat einiges ins Rollen gebracht. Das aufgepappte Etikett „Dreigestirn des deutschen Impressionismus“ wird in der Mottenkiste der Geschichte abgelegt. Man reduziert ihn auch nicht auf eine Rolle als Teilzeit-Impressionist. Vielmehr ist endlich ein Anfang gemacht, sich dem Alten vom Slevogthof weit darüber hinausgehend in seiner ganzen, vielfacettigen Eigenständigkeit zu nähern.
Mitten im Ateliergarten des Malers

Der Slevogthof liegt am Hang hoch über Leinsweiler, wird gerade saniert und ist nur von außen zu besichtigen. Slevogts Nachkommenschaft erweiterte das Hofensemble durch plumpe Anbauten und führte es bis in die achtziger Jahre als Ausflugswirtschaft. Wann und in welcher Form das „Tusculum“ der Öffentlichkeit wieder zugänglich sein wird, ist offen.
Vom Leinsweilerer Ortskern biegt man in die Kirchstraße ein und erreicht, vorbei an der alten Dorfkirche, wo Max und Nini Slevogt geheiratet haben, nach einer steilen und scharfkurvigen Strecke den Vorplatz des Gutshofs, wo es genügend Parkplätze gibt. Dort beginnen die Waldwanderwege.

Die Gemeinde Leinsweiler hat 2018 einen Slevogt-Themenwanderweg ausgeschildert mit insgesamt neunzehn Schautafeln entlang der Wegführung. Man kann die Strecke verkürzen und abändern, sollte aber zwei markante Punkte nicht auslassen: Den Slevogtfelsen, ein waldumschlossenes, verschwiegenes, kleines Felsplateau (ungesichert – Achtung, falls kleine Kinder dabei sind!) mit Weitwinkelausblick auf die charakteristische Formation der drei Burgen Trifels, Anebos und Scharfeneck. Und die Aussichtsplattform der Festungsruine Neukastel, auf die man sich über eine fast senkrechte Metalltreppe hinaufhangelt, um oben die prächtige Panoramasicht über die Rheinebene zu genießen. Mit Glück segelt ein bunter Paraglider vorbei und bereichert das Handyfoto.
In der kleinen Leinsweilerer Touristinfo im Dorfzentrum kann man sich mit Info- und Kartenmaterial versorgen.
Einblick in Slevogts künstlerisches Werk erhält man in der Villa Ludwigshöhe bei Edenkoben (Zufahrt von dort ausgeschildert), mit der größten Sammlung von Slevogts Bildern. Das Sommerschloss Ludwig I. von Bayern ist heute eine kulturelle Institution und bietet neben der Slevogt-Dauerausstellung auch Sonderausstellungen, Führungen (auch für Kinder) zu Spezialthemen durch die historischen Räume und kulturelle Events. Die Aussicht von der großen Schlossterrasse über Ludwigs Untertanenland auf Weinberge, begrenzt von einem malerischen Kastanienhain, und das Dorf Rhodt ist – wie könnte es anders sein – königlich.
Zum Abschluss eine wunderbare Einkehr
Wer Körper und Geist bei Wandern und Museumsbesuch verausgabt hat, wird zum Abschluss gerne einkehren. Ich empfehle die Weinstube Hahn in Landau-Arzheim, ein Lokal, das dem heute inflationär gebrauchten Begriff „Geheimtipp“ in seiner ursprünglichen Bedeutung gerecht wird. Auch ein Geheimtipp ist gut besucht, sonst würde es ihn nicht geben, und manchmal rappelvoll. Nur sind die Gäste so gut wie ausnahmslos langjährige Stammgäste und Einheimische. Das bedingt, dass die Lokalität nicht an einer touristischen Durchgangsschleuse liegen darf. Auf Arzheim trifft dies zu. Zudem verweigert sich das Inhaberpaar seit Beginn konsequent jeder zahlungspflichtigen Aufnahme in die gängigen Gourmet- und Restaurantführer. Es gibt auch keine eigene Website.

Es gibt einen Raum mit typischem Weinstubenkolorit und seit einigen Jahren einen eleganten Außensitz. Es gibt eine hochwertige, frische Pfälzer Küche und feinste regionale Weine. Es gibt ein eingespieltes und großartiges Eheteam mit klarer Aufgabenverteilung: Rudi Hahn ist Weinfachmann und managt die Küche, Elisabeth Hahn mit ihrem phantastischen Talent, gute Laune zu verbreiten, managt ihr Gästevolk. (Geöffnet nur abends und am Wochenende. Reservierung empfohlen. Tel. 06341 33144).
Ein Gedanke zu „Die Südpfalz Teil 2“
Lieber Wolfgang,
Besichtigungen des Slevogthofs sind zur Zeit leider nicht möglich. Das
Anwesen wurde von einem Architekten gekauft und wird zur Zeit angeblich
saniert. Wann und in welcher Form es wieder eröffnet wird, ist mir nicht
bekannt. Liebe Grüße Friederike