
Ein Park für jede Jahreszeit
Eine Frau und zwei Männer: Die uralte Geschichte

Leipzigs Johannapark, zentrumsnah gelegen, gilt oft als Teil des weitaus größeren Clara-Zetkin-Parks, von dem ihn die Edvard-Grieg-Allee trennt. Auf manchen Stadtplänen ist er namentlich garnicht ausgewiesen und geht einfach unter. Zu Unrecht, denn der kleine Stadtteilpark ist eine gartenarchitektonische Besonderheit mit tragisch-romantischer Geschichte. Seine baumbestandenen Grünflächen verbinden Zentralleipzig über den Clara-Zetkin-Park direkt mit dem Grüngürtel der Auenlandschaften von Elster und Pleiße und führen bis hinein in das Seengebiet im Süden Leipzigs, das durch das Fluten der Gruben des aufgegebenen Braunkohletagebaus entstand.
Der Johannapark ist also ein kleiner, aber besonders feiner Bestandteil dieses großen, städtischen Erholungsgebiets, mit ganz eigenem Flair. Die Planung geht auf Peter Joseph Lenné zurück, den berühmten Gartenarchitekten des 19. Jahrhunderts, Generalgartenbaudirektor des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV., der auch sein Förderer war. Während seiner Ausbildung lernte der junge Lenné noch den streng formalen, französischen Barockgarten kennen, damals jedoch bereits ein Auslaufmodell. Auf einer von Friedrich Wilhelm gesponsorten beruflichen Bildungsreise nach England kam er in Kontakt mit dem Englischen Landschaftspark und importierte dieses Gartenmodell auf den Kontinent.

Auch den Johannapark gestaltete Lenné als Englischen Landschaftspark, als Anlage mit runden, gewundenen Wegen, gegliedert durch Bäume und Gehölzpflanzungen, mit einladenden Grünflächen und einer Teichanlage, über die zwei romantische Holzbrücken verwunschen zu einer Insel leiten. Der Erdaushub des Teiches diente der horizontalen Modellierung des Geländes. Eine der berühmten Lennéschen Sichtachsen führt den Blick zum Turm des Neuen Rathauses. Zu Lennés Zeiten erhob sich dort die Pleißenburg. Im Gegensatz zu vielen Parks, die durch Umnutzung, Vergrößerung, Verkleinerung, Umgestaltung und auch Verwahrlosung ihren ursprünglichen Charakter verloren, besteht der Johannapark bis auf den heutigen Tag im Wesentlichen in seiner originalen Form. Warum das so ist, geht aus seiner Entstehungsgeschichte hervor.
Ein zeitübliches Drama
Johanna, die Namensgeberin des Parks, wurde 1836 als Tochter des Leipziger Bankiers und Unternehmers Wilhelm Seyfferth in ein wohlhabendes Großbürgermilieu hineingeboren. Es ist anzunehmen, dass sie behütet aufwuchs und die Ausbildung einer „höheren Tochter“ erhielt. Um die kurze Zeitspanne bis zu ihrem frühen Tod mit 22 Jahren rankt sich ein leidenschaftliches Liebesdrama, das reich ausgeschmückt in Rosamunde-Pilcher-Manier verschiedentlich kolportiert wird, wobei man es mit den Fakten nicht so genau nimmt. Die herzzerreißende Geschichte diente bereits als Vorlage für eine Theateradaptation und im Leipziger Touristenmarketing fehlt sie auch nicht.
Johanna verliebte sich, so will man wissen, in den jungen – nicht vermögenden? – Landadeligen Wilhelm von Minckwitz, wurde jedoch von ihrem Vater in die Ehe mit dem ungeliebten Bankier Dr. Schulz genötigt. Zwei Jahre später starb sie an gebrochenem Herzen. Soweit die dürren Fakten.

Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Liebesheirat sich bereits durchgesetzt, hier und da sogar über Standesgrenzen hinweg. Die eheliche Verbindung von (niederem) Adel und (bürgerlichem) Geld konnte für beide Parteien durchaus eine win-win-Situation bedeuten: Die reiche, mit Mitgift und monatlicher Apanage ausgestattete Bürgerstochter war fortan die adelige „Frau von …“ und der Adelsspross, ein bescheidener Landjunker oder mäßig dotiert als Hofmarschall im Dienst eines Fürsten stehend, konnte sich ein Leben mit Stil leisten. Die Motive von Vater Seyfferth bleiben jedenfalls im Dunkeln. Überhaupt ist die Quellenlage ziemlich dürftig. Auch die tatsächlichen Umstände von Johannas Tod werfen Fragen auf. Ein gebrochenes Herz ist zwar das überaus passende Finale einer bittersüßen Geschichte, führt medizinisch aber nicht zwangsläufig zum Ableben. Sofern die beiden hinterbliebenen Männer von Interesse sind, ist zu berichten, dass Wilhelm von Minckwitz später immerhin zweimal heiratete, während es zu Witwer Dr. Schulz keine weiteren Informationen gibt. Sagen wir einfach, er wurde in dem Drama nicht mehr benötigt und verschwand in den Tiefen der Geschichte.
Der Tragödie zweiter Teil
Im zweiten Teil der Tragödie haben wir es weniger mit einer Story zu tun, die knapp an der nachmittäglichen Fernseh-Soap vorbeischrammt. Vielmehr geht es nun um das Bauprojekt eines Mannes mit Verstand und Weitsicht, das von einem der angesehendsten Fachexperten seiner Zeit kongenial umgesetzt wird. Dieser Teil der Gesamtgeschichte ist auch besser dokumentiert.

Bereits im Todesjahr seiner Tochter, 1858, beschloss Wilhelm Seyfferth, ihr zum Gedenken einen Park anzulegen. Es hätte eine isolierte Insel zum privaten Trauern werden können. Aber der Leipziger Industriepionier realisierte ein Konzept, in dem sich Nachhaltigkeit, Zukunftsplanung und Bürgersinn auf alle Zeiten mit dem Namen Johanna verbanden. Er kaufte unweit seiner Villa ein paar Stücke Land, wobei er den nahtlosen Übergang des zukünftigen Parks in die Auenlandschaft der nahen Elster bereits im Blick hatte. Und er plante die Anlage als öffentlichen Park, als Ort zum Durchatmen, zur Erholung, zugänglich für jeden, der sich am Wechsel der Jahreszeiten, an Natur und Sonnenlicht erfreuen wollte.

Dann kontaktierte er Lenné, die Koryphäe der Gartenkünstler, und legte ihm seine Pläne vor. Lenné empfahl ihm, weiteres Land dazuzukaufen, was Wilhelm Seyfferth tat. Das Beste war ihm gerade gut genug für sein visionäres Projekt, und die nötige finanzielle Substanz war ja auch da. 1863 war der Park fertiggestellt. Es ist eine Landschaft ohne offensive Pracht und Repräsentativität. Der Gärtner der Fürsten und Könige entwarf für eine junge Frau einen lichten, ruhigen Park voller Charme. Denn Lenné wusste um das tragische Schicksal Johannas, den Hintergrund für seinen Auftrag.
Johannas Fußabdruck
In seinem Testament vermachte Wilhelm Seyfferth den Johannapark der Stadt Leipzig als Geschenk, mit der Vorgabe, nichts zu verändern oder zu bebauen, den Übergang in die Naturlandschaft an der Elster zu bewahren, den öffentlichen Zugang für die Bürger zu erhalten und den Namen des Parks nie zu ändern. Im Wesentlichen ist das bis heute so geblieben.
Wie alle Naturlandschaften entfaltet der Johannapark im Frühjahr und Sommer seine lebhaftesten und strahlendsten Seiten. Ich finde ihn auch im Spätherbst exquisit, wenn das letzte Baumlaub als Spiegelbild im Teich funkelt. Wenn Ruhe einkehrt, ab und zu ein Radfahrer lautlos um die Ecke biegt und Spaziergänger automatisch ihr Tempo drosseln. Wenn neblige Vordämmerung und die Johanna-Tragödie melancholische Gedanken zulassen …