
Die Südpfalz • Teil 1
Kurze Charakteristik und kleine To-do-Liste für die südpfälzische Metropole
Vorab etwas Geografie. Die Südpfalz ist ländlich, kleinteilig und klein: Im Süden und Osten von Elsass und Rhein eingefasst verläuft ihre imaginäre Grenzlinie im Norden, ausgehend von Speyer am Rhein, waagerecht zwischen Maikammer und Neustadt – das nicht mehr zur Südpfalz zählt – und verliert sich irgendwo im Pfälzer Wald. Dort ist der Übergang von der Süd- in die Westpfalz fließend. Das Dahner Felsenland markiert hier in etwa die Gebirgsscheide zwischen den beiden Regionen. Logischerweise müsste man die Westpfalz Hinterpfalz nennen, denn sie schließt sich an die Vorderpfalz an. Aber die Westpfälzer empfinden das als diskriminierend. Die Nordpfalz übrigens ist fein raus aus dem Durcheinander von Südpfalz, die geografisch korrekt eigentlich Südostpfalz heißen müsste, Westpfalz, Südwestpfalz, Vorderpfalz und Hinterpfalz. Sie nimmt genau den ihr gebührenden Raum ein, den Norden der Pfalz und zwar durchgehend vom Rhein bis zur saarländischen und rheinhessischen Grenze.
Puristen würden mich belehren, dass die nördliche Grenze der Südpfalz korrekt vom Flüsschen Queich markiert wird und nicht irgendwo bei Neustadt verläuft. Denn nördlich davon gehören die gebirgigen Ausläufer des Pfälzer Waldes bereits zur Haardt. Südlich der Queich heißen sie Vogesen. Die ästhetisch wunderschön gestaffelten Vogesengipfel, im Elsass setzen sie sich als „les Vosges“ fort, sind ohne Zweifel das Alleinstellungsmerkmal der Südpfalz. Jenseits der Queich heißen sie Oberhaardt und sind fast genauso bezaubernd. Ab Neustadt, wo die Mittelhaardt beginnt, fällt ihr Charme dann allerdings ab.
Da die Queichgrenze jedoch politisch-historische Wurzeln hat und bis in die napoleonische Ära zurückreicht, erkläre ich großzügig die „erweiterte“ Südpfalz bis knapp vor Neustadt als Reiseziel. Die Pfälzer werden es mir hoffentlich nachsehen.
Wo der Pfälzer Wald in die Rheinebene absinkt, erstreckt sich das Gebiet der Deutschen Weinstraße von Süd nach Nord. Sie ist das Herzstück des Pfalztourismus, mit Rebstöcken bepflanzt und mit Dörfchen gesprenkelt, deren heimelig aufragende Kirchtürme mit den blauen Vogesengipfeln im Hintergrund ein intaktes Heimatbild vermitteln. Kein einziges Windrad stört die Idylle.
Jenseits der Autobahn A65 beginnt die flache Rheinebene mit ihren Getreide- und Gemüseäckern. Dort, in den touristenarmen Gefilden, behaupten sich hier und da ein paar Windräder, wenn auch nicht als große Windparks, und zwischen Salatfeldern und Rübenäckern drängen sich auch Flächen mit hochsubventioniertem Agro-Mais für Biogaskraftwerke. Im Weingebiet jedoch passen die Bürger auf, notfalls mit Druck und massiven, politischen Protesten, dass ihre ebenso reizvolle wie lukrative, touristische Idylle weder durch Vermaisung noch durch Windrad-Verspargelung verunstaltet wird .
Die Metropole der Südpfalz

„Hauptstadt“ der Südpfalz ist zweifellos Landau, dessen verkehrsfreie Altstadt sich um den Rathausplatz gruppiert. Seine Größe und Quadratform weisen auf eine Vergangenheit als militärischer Exerzierplatz. Während der Herrschaft Napoleons, als die Pfalz französisch war, hieß er „Place de l’Égalité“. Nach dem letzten Krieg musste er lange als innerstädtischer Parkplatz herhalten, bis er im Zuge der Stadtverschönerung zur Fußgängerzone umgestaltet wurde. Seitdem sorgt er mit seiner weiten, offenen Fläche inmitten der von ihm abzweigenden Altstadtgassen für eine bescheidene, städtische Grandeur. Der berühmten Pfälzer Mandelblüte, neben Wein und Wandern ein weiteres wichtiges Standbein des Pfalztourismus, kann man sich im Frühjahr nicht nur auf den ausgewiesenen Wegen in Feld und Flur hingeben, sondern auch hier auf dem Rathausplatz – und gerade hier besonders genussvoll bei einer Tasse Kaffee oder dem ersten Eisbecher des Jahres.
Zentral in der Mitte des Platzes erhebt sich das Reiterstandbild des bayrischen Prinzregenten Luitpold. 1888 besuchte Seine Königliche Hoheit Landau, das zusammen mit der Pfalz nach der Verbannung Napoleons „auf ewige Zeiten“ an Bayern gefallen war. Sie dauerten etwa hundert Jahre. Das Ende des „Großen Krieges“ im Jahre 1918 markierte eine historische Zäsur für Deutschland und Europa, und fegte im Zuge seiner revolutionären und gesellschaftspolitischen Umbrüche das bayrische Königshaus ebenso hinweg wie die „ewigen Zeiten“. Luitpold, beliebter Landesvater und geachtet von seinen Untertanen, blieb es erspart, dieses Ende zu erleiden. Er starb bereits 1912 im gesegneten Alter von 91 Jahren während der Hochblüte von Deutschlands kaiserlicher Epoche.
Mein kleiner Landau-Rundgang

Ausgangspunkt ist der Rathausplatz. Eine der von ihm abzweigenden Altstadtstraßen heißt Trappengasse und an ihrem Ende ragt das Ensemble der Augustinerkirche mit den ehemaligen Klosteranlagen empor. Links von der Kirchenpforte finden Sie – Obacht: Leicht zu übersehen! – eine offenstehende Eisengittertür. Treten Sie ein und Sie befinden sich in Landaus schönster Oase. Mein Landauer Lieblingsplatz, der wunderschön gepflegte und bis in den Dezember blühende Kreuzgang des ehemaligen Augustinerklosters, erinnert mich immer an die Frische und Lieblichkeit maurisch-andalusischer Innenhöfe. In der Mitte plätschert ein Brünnlein und an allen Seiten der umgebenden Arkaden stehen Schatten- und Sonnenbänke, je nach Tageszeit.
1912 hat Max Slevogt, Maler und Wahlpfälzer, den Landauer Augustinerkreuzgang gemalt. Damals sah es hier noch anders aus. Die Mauern der Klostergebäude waren von Grünpflanzen berankt. Es gab keine Ablenkung durch Blumenbeete, Rosenduft und Brünnlein, vielmehr fordert der in gedämpft braunen und grünen Farbtönen gemalte Ausschnitt, dem Slevogt nicht einmal das kleinste Fetzchen blauen Himmels gönnte, zu meditativer Buße oder wenigstens zum In-sich-Gehen auf. Der Künstler war damals 44 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, und auf dem Karriereweg steil nach oben. Er arbeitete unter anderem im Auftrag des bayrischen Prinzregenten und wurde von Berlins bedeutendstem Kunsthändler Paul Cassirer vertreten. Der vermarktete Max Slevogt zusammen mit den Malern Lovis Corinth und Max Liebermann als deutsches Impressionisten-Trio. Seitdem gilt Slevogt in der Kunstszene unhinterfragt als Impressionist – eine Einordnung, die nun endlich langsam ins Wanken gerät. Dazu mehr in meinem Bericht DIE SÜDPFALZ TEIL II.
Vom Kreuzgang ist es ein kurzer Fußweg die Königstraße entlang zum Untertorplatz. Drei architektonische Stilformen aus drei historischen Epochen fordern hier zu Betrachtung und Analyse auf – „Stilblüten“ würde auch passen, trifft aber nur auf zwei der Konstruktionen zu: Das eine ein steinernes Löwendenkmal, wichtigtuerisch und arrogant; das andere – direkt am Deutschen Tor – ein zeitgenössischer, seltsamer Stahl-Glas-Anbau, dessen schiere Existenz höchste Ansprüche an die Deutungsfantasie der Betrachter stellt und die meisten ratlos zurücklässt. Ursprünglich als Restaurant geplant, steht der Anbau seit seiner Fertigstellung leer, ist von einem Bauzaun umgeben und hat noch nie irgendeine Art von Innenleben gesehen.

Das älteste Bauwerk am Untertorplatz ist das Deutsche Tor, ehrwürdig und wuchtig, ein Relikt aus der Zeit, als Landau eine Festung war. Ludwig XIV., Frankreichs machtbesessener Sonnenkönig, hatte die Reichsstadt Landau entgegen vertraglicher Zusicherungen „annektiert“, würde man heute sagen, und ließ sie ab 1688 von seinem Festungsbaumeister Sébastien Vauban zu einer Garnisonsstadt ausbauen, die im Verbund mit weiteren Grenzfestungen seine Eroberungen sichern sollte. Eine späte Ehrung wurde dem genialen und innovativen Militärarchitekten Vauban, der sich auch mit Literatur, Philosophie und Steuerwesen befasste, zuteil, als 2008 die UNESCO zwölf seiner Festungsanlagen ins Weltkulturerbe aufnahm. Landau ist leider nicht darunter. Als einzige nichtfranzösische Stadt hat es Breisach in die Liste geschafft.

Mitten auf dem Untertorplatz erhebt sich in Übergröße der Steinlöwe auf seinem Sockel. Die Mähne wächst ihm bis unter den Bauch, hochaufgerichtet sitzt er da, mit weit geöffnetem Maul fletscht er seine gewaltigen Reißzähne drohend hinüber nach Westen, nach Frankreich. Das Denkmal wurde 1936 mit Pomp eingeweiht, zweifellos auch als Warnung an den damaligen „Erbfeind“. Damit heute niemand auf abwegige Gedanken kommt, hat man an dem Sockel eine Metallplatte angebracht, die erläutert, warum die Stadt Landau ein Nazidenkmal in ihrer Mitte duldet. Die Erklärung beginnt mit den Worten: Denk mal.
Durch die Theaterstraße schlendert man zurück zum Rathausplatz und wer nun eine Einkehr braucht, um die Jahrhunderteindrücke sinken zu lassen, hat es nicht weit …
Kulinarische Offenbarung in der Marktstraße

… denn ein paar Schritte vom Rathausplatz entfernt in der Marktstraße versteckt sich die Kaffeerösterei „Parezzo“. Das heißt – dieses Kleinod von einem Café versteckt sich ganz und gar nicht. Es ist vielmehr so, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht, denn hier reiht sich Café an Café. Allerdings hat Parezzo einen Strandkorb neben seine Straßentische gestellt – vielleicht um sich hervorzuheben? – in dem man zu zweit genüsslich die Zeit vertrödeln kann (wenn er denn frei ist).

Neben dem üblichen Caféhausangebot, als da sind Frühstück und allerlei kleine Gerichte, alles stylish und mit Pfiff angerichtet, hat das „Parezzo“ ein paar exquisite Besonderheiten. Ein rundes Dutzend Spezialkaffees, hergestellt in der eigenen Rösterei, beweisen, dass Kaffee kein standardisiertes Einheitsgetränk ist, sondern von ebensolcher charakterlicher Vielfältigkeit wie Wein oder Tee. Gemahlen oder als ganze Bohne kann man die Spezialitäten aus ausgewählten Anbaugebieten mit nach Hause nehmen. Zum Kaffee gönnt man sich ein elitäres Kuchenteilchen: Eins der raffiniert aufgebauten, papageienbunten, kleinen Kunstwerke, in denen sich Fruchtiges und Mürbes, Knuspriges und Cremiges höchst delikat vereinen. Gründer und Inhaber Parez bezieht sie aus der Pâtisserie Chocolaterie Rebert im nahen elsässischen Weißenburg. Zum nachmittäglichen people watching ist solch ein süßes Rebert-Stückchen eine kleine kulinarische Offenbarung. Wenn ich in der Nähe bin, komme ich am „Parezzo“ nicht vorbei, ohne da hängenzubleiben.
Suppenbar für Jung und Alt
Ähnlich geht es mir mit „Suppe mag Brot“. André (Andreas Becker) und Jörn (Weisenberger) haben dieses ihr Herzensprojekt über die Crowdfunding-Plattform Startnext finanziert, 2015 eröffnet und seitdem läuft und läuft und läuft es, trotz abseitiger Lage.
Wie der Name andeutet, handelt es sich um eine Suppenbar, wobei die Suppen eher als nahrhafte und überraschend herzhaft gewürzte Eintöpfe daherkommen. Es gibt außerdem Salate, Brotaufstriche und eine kleine Kuchenauswahl, alles hausgemacht. Mein Favorit ist der Antipastiteller. Da saisonal und nach Marktangebot eingekauft und ökonomisch gewirtschaftet wird, erübrigt sich eine Karte – die Angebote wechseln sowieso täglich, deshalb sind Schiefertafeln das Richtige – und Selbstbedienung spart Personal.

Einrichtung und Atmosphäre sind von einem bürgerlichen Lokal so weit entfernt wie es nur möglich ist. Das Mobiliar ist eine lebhafte und einladende Mischung aus kissenbelegten, maßgetischlerten Bänken, diversen Stühlen, Tischen und Omasesseln. Dazu hölzerne Bodendielen aus alter Zeit. Unverkennbar ist das durch das Publikum charakterisierte, intensive studentische Flair, wegen dem, wie ich weiß, manche Leute im „Suppe mag Brot“ fremdeln. Das Publikum ist also jung. Aber es finden sich wundersamerweise auch immer Senioren ein, die all dies offenbar schätzen. Ich habe dort schon öfter ältere Damen mit kleinen Kindern erlebt und mir vorgestellt, es könnte die Oma sein, die auf ihren Enkel aufpasst, weil die Kindeseltern in der Uni über einer Seminararbeit schwitzen. Ein kleiner, begrünter Hof schließt sich an das Lokal an und vorne auf dem Bürgersteig kann man auch sitzen.
Dieser gastronomische Fund liegt ziemlich unauffällig in einer bürgerlichen Wohngegend abseits des Zentrums. Laufkundschaft gibt es nahezu nicht. Die (vermutlich treue) Stammkundschaft ist absolut kompatibel mit Angebot, Atmosphäre und den Betreibern der Lokalität. Deshalb ist es hier auch so authentisch.
Mitten im Zentrum und ohne Laufkundschaft
Laufkundschaft gibt es im „Sternl’s Altstadt“ ebenfalls nahezu nicht. Das bistroartige Lokalchen hockt raffiniert in einem toten Winkel keine fünfzig Meter vom Rathausplatz entfernt. Der Eingang vom Kleinen Platz aus ist ebenso unprätentiös unauffällig wie der hübsche, schattige Hofgarten auf der anderen Seite, dort wo sich die Straße neben dem Alten Kaufhaus blasenartig erweitert. Die Stammkundschaft kennt sich natürlich aus. Die Gäste werden vom Wirt Jürgen Stern per Handschlag begrüßt und zwar nahezu alle. Er kennt sie schließlich. Die anderen werden ebenso willkommen geheißen, wenn auch nicht per Handschlag, und fürsorglich platziert. Es könnten ja zukünftige Stammgäste sein.

Die Gäste fühlen sich wohl, der Wirt versteht sein Metier und fühlt sich auch wohl. Sein Lokal ist von Mittag bis Abend durchgehend geöffnet und jeder einzelne Vertreter seiner Kundschaft darf sicher sein, entsprechend seinem individuellen, derzeitigen Bedürfnis bedient zu werden: Egal ob er zur Mittagessenszeit nur einen Hugo ordert – das Kultgetränk gibt’s auch nicht-alkoholisch – oder ob er um vier Uhr nachmittags eine ingwergewürzte Karottensuppe und danach arabische Falafel mit Beilage verspeisen will, es gibt alles jederzeit. Demokratisch eben, niemand wird ausgegrenzt. Zudem darf sich der international über den Tellerrand Hinausgewachsene bei spanischen Tapas hier ebenso wohl fühlen wie der Vorsichtige, dem die Schnitzelkarte kulinarische Experimente erspart, oder der Wanderstiefelträger, der bodenständige Pfälzer Küche sucht. Berührungsängste mit der sogenannten cross-over-Küche gibt’s bei Herrn Stern auch nicht. Freitags, und nur freitags, ist Fischtag, wie es die Tradition der Katholiken früher vorschrieb. Zum katholischen Rotbarschfilet im japanischen Tempurateig wird in dem Bistro selbstbewusst norddeutscher (evangelischer?) Kartoffelsalat serviert. Der zu Unrecht berüchtigte Pfälzer Saumagen ist allerdings aus der Karte verbannt. Den überlässt man denn doch lieber den touristischen Ausflugslokalen und Weinstuben.
Das Wichtigste und Erfreulichste zum Schluss: Die Speisen auf dem Teller sind gut, frisch zubereitet, knackig, wo sie knackig sein sollen, und hausgemacht. Die Zutaten qualitativ mit Überlegung ausgewählt. Einen Ausrutscher habe ich dort noch nie erlebt. Das Rindfleisch zum Beispiel, vermerkt die Karte stolz, stammt vom „Queichtaler Weiderind“. Das ist zwar kein Markenzeichen wie das „Nordpfälzer Glanrind“, von Slow Food als vom Aussterben bedrohte Tierrasse in der Arche des Geschmacks gelistet. Ein Weiderind aber, so darf man wohl annehmen, steht mit seinen Hufen im Gras und nicht im Massentierstall auf Spaltboden, und das Queichtal liegt gleich um die Ecke. Kann man sich da nicht mit ruhigem Gewissen Sternl’s Burger schmecken lassen?